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Interview mit Ernst Grube

Ernst Grube

Ernst Grube, 78 Jahre, Münchner, ehemaliger Jugendspieler des TSV München von 1860 und Helios München, Malermeister, Stellvertretender Präsident der Lagergemeinschaft Dachau.

Ernst Grube war von Februar bis 8. Mai 1945, als 12jähriger, zusammen mit seinen beiden Geschwistern und seiner Mutter, Häftling im ehemaligen Konzentrationslager Theresienstadt (heute Tschechien). Wer nicht dort schon ermordet wurde, den trieben die SS-Schärgen in Auschwitz ins Gas. Die Befreiung der überlebenden Häftlinge des Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 durch die Rote Armee rettete ihm und seiner Familie das Leben. Ernst Grube lebt heute in München. Er spielte von 1947 bis 1951 in den Jugendmannschaften von TSV München von 1860 und Helios München als linker Verteidiger.

Ernst Grube, nach deiner Befreiung aus dem KZ Theresienstadt durch Soldaten der Roten Armee bist Du zu den »Sechzigern« gegangen.

Der TSV München von 1860 war damals ein richtiger Arbeitersportverein. Ich fand das gut, und da wollte ich hin. Fußballspielen war für meine Altersgenossen und mich die Freizeitbeschäftigung schlechthin. Für mich persönlich bedeutete das Fußballspielen im Verein, dass ich gleichberechtigt war und akzeptiert wurde. Das war für mich ein ganz neues Gefühl. In der Nazizeit erlebte ich fast nur Ausgrenzung. Ich durfte weder in die Schule gehen, noch in einem Verein Fußball spielen.

Als Du dann von Theresienstadt nach München zurückgekommen bist und gekickt hast, wie war das für Dich nach Ausgrenzung und Diskriminierung?

Unglaublich schön. Ich habe mich zum ersten Mal in meinem Leben frei und von Gleichaltrigen angenommen gefühlt. »Elf Freunde sollt ihr sein! « Das hört sich heute altmodisch an. Für mich war der Satz klasse. Ich habe ihn aufgesogen und gelebt. Für mich war der Teamgeist in meiner Mannschaft gut für meine Seele und aus diesem Grund habe ich auch besser gespielt.

Rechtsradikale und Neonazis melden sich wieder stärker in den Stadien und um die Fußballplätze herum zu Wort. Sie treten als Biedermänner in Vereine ein oder gründen neue und verbreiten dort ihre Botschaften. Und öffentlich zeigen sie sich auch.

Ja, ich bekomme das eins-zu-eins mit. Da wird gesungen »Auschwitz ist eure Heimat. Eure Häuser sind die Öfen. « – »Wir bauen euch eine U-Bahn bis nach Auschwitz. « Diese Sprüche machen mich erst mal fassungslos. Das ist schockierend. Ich will nicht wahrhaben, dass 66 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz Fußballfans diese menschenverachtenden Parolen ihrem sportlichen Gegner entgegen brüllen. Es macht mich vor allem aber auch traurig. Es erinnert mich an meine Kindheit. Als jüdisches Kind wurde ich von Gleichaltrigen und Älteren ausgegrenzt und als »Judensau« beschimpft.

Aber dann kommt in mir eine starke Wut hoch. Diese menschenverachtenden Parolen, die teilweise da im Stadion gebrüllt werden, dem muss etwas entgegengesetzt werden, von den Vereinen, von den Fußball-Verbänden, von der Politik, von den Fans. Am besten wäre es, die echten Fans würden sich dagegen zur Wehr setzen. Und auch die Vereinsbosse.

Hast Du Vorschläge?

Wenn Fangruppen rassistische Parolen brüllen, z. B. gegen afrikanische Spieler der gegnerischen Mannschaft, dann muss der Schiedsrichter oder der Stadionsprecher sich einmischen. Er muss sich diese Provokationen im Namen seines Vereins verbitten und die Zuschauer auffordern, diesen Sprechchören ein Pfeifkonzert entgegen zu setzen. Es gibt auch die Möglichkeit, dass der Schiedsrichter das Spiel unterbricht, die beiden Spielführer zu sich bittet und ihnen mitteilt, er werde das Spiel abbrechen, wenn die diskriminierenden Parolen nicht gestoppt werden. Ich glaube, das hat der DFB in seinem Schiedsrichter-Regelwerk jetzt so festgelegt.

Macht es für Dich Sinn, wenn vor einem Fußballspiel oder in der Halbzeitpause der Stadionsprecher die Fans anspricht und sie auffordert, der Opfer der Nazidiktatur zu gedenken und sich heute gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zur Wehr zu setzen?

Natürlich macht es Sinn. Wir erleben heute einen zunehmenden Rassismus. Dieser speist sich u. a. aus der Gewalt. Gewalt erleben wir leider immer wieder in den Fußballstadien. Sie richtet sich meist gegen den sportlichen Gegner, aber vor allen gegen Menschen, die aus anderen Kulturkreisen kommen - wir erleben vermehrt Intoleranz. Hier hat das Erinnern an die Verbrechen der Nazis - an das billigende Verhalten der meisten Bürger - eine große und wichtige Bedeutung. Wir müssen jeder Form von Gewalt, Intoleranz und Rassismus, in welcher Form auch immer, entgegentreten.

(INTERVIEW: Schulz / Schultz)

Rassismus im deutschen Fußball - Interview Martin Endemann

Ronny Blaschke

Martin Endemann, wie ist denn die Stimmung bezüglich Rassismus in den Stadien aktuell?

Wir hatten jetzt mehrere Fälle, dass Fans angegriffen wurden von Nazis, von Nazi-Hooligans, auch innerhalb und außerhalb der Stadien. Und das ist eigentlich das größte Problem, dass wir grade haben: Dass gerade Fangruppen, die sich antirassistisch und gegen Diskriminierung positionieren, deswegen auch vermehrt zur Zielscheibe von anderen Fans werden, die das eben nicht möchten. Das ist natürlich eine Situation, in der sich die Vereine überlegen müssen, was sie dagegen tun können.

Sind die Nazis, sind die Rechtsextremen in den Stadien organisiert oder sind das Einzelpersonen?

Das ist ein bisschen schwierig zu beantworten. Das ist sehr szeneabhängig, sehr stadtabhängig. Es kommt immer darauf an: Wie ist eine rechte Szene in einer Stadt organisiert? Gehen diese Leute auch zum Fußball? Oft ist es natürlich so, dass in den Städte, wo es eine stark organisierte rechte, neonazistische Szene gibt, natürlich auch relativ viele von diesen Leuten auch zum Fußball gehen. Das ist ganz klar. Es ist natürlich schon so, dass auch die Nazi-Gruppen oder Nazi-Hooligans der einzelnen Städte auch Kontakte haben, also dass da die Vereinszugehörigkeit gar nicht so eine Rolle spielt, sondern dass eben auch eigentlich sportliche Rivalen natürlich zusammenarbeiten, wenn es einen politischen Gegner gibt.

Was tut denn jetzt Ihre Organisation gegen den Auftritt der Neonazis in den Stadien?

Wir haben ungefähr zweihundert Einzelmitglieder. Das heißt, jeder Mensch, der sich dafür interessiert, kann Mitglied werden. Und wir haben ungefähr 80 Fangruppen in ganz Deutschland. Das sind Fan-Initiativen, Fan-Zeitschriften, Fan-Clubs, die alle im BAFF organisiert sind. Und dann treffen wir uns eben zweimal im Jahr zu Jahrestreffen und ansonsten halten wir Kontakt über Email-Listen, etc. Im Endeffekt sind es die Mitglieder in den jeweiligen Städten, die etwas dagegen tun, die eben versuchen, vor Ort Einfluss zu nehmen. Sei es durch Organisation mit anderen Fans des Vereins, sei es durch Gespräche mit dem Verein bzw. mit der Stadt oder wer auch immer sich eben um Rechtsextremismus in der Stadt kümmert.

Was wir als BAFF deutschlandweit tun können ist natürlich Aufklärung. Wir haben schon vor etwa 10 Jahren angefangen, die Ausstellung "Tatort Stadion" zu machen, wo eben diese Probleme beschrieben werden und auch zum ersten Mal nach drei Jahren Öffentlichkeit dann zugänglich gemacht wurden, was natürlich auch wieder Druck auf Vereine, Verbände ausgeübt hat, da zu reagieren.

Tatort Stadion

Wir werden oft gefragt: "Was kann man denn direkt tun?" Das wichtigste überhaupt ist, finde ich, dass sich ein Verein voll hinter antidiskriminierende Ziele stellt und da eben auch voll hinter seine Fans stellt, die auf diesem Feld aktiv sind. Das größte Problem, das wir nämlich sehen, ist wenn sich ein Verein da so ein bisschen raus hält oder eben wie in Braunschweig geschehen, die Leute aussperrt, die eigentlich antirassistische Fans sind, weil die eben eine Zielscheibe sind und sie es sich so einfacher machen würden, das ist natürlich ein fatales Signal. Das ist in Braunschweig schief gegangen, das ist in Aachen schief gegangen. Zum Beispiel Werder Bremen wird heute zurecht gerne als Beispiel dargestellt, wie ein Verein gute antirassistische Arbeit machen kann und voll hinter der Fanszene steht, die dieses Problem angeht. Zum Beispiel gibt es eine AG "Antidiskriminierung" wo Vereinsvertreter drin sitzen, mehrere Fangruppen, die sich praktisch regelmäßig treffen und eben besprechen: "Wir machen jetzt das, das, das", "Wir arbeiten eine neue Stadionordnung aus" um eben gewisse Symboliken aus dem Stadion heraus zu halten. "Wir machen Aufklärungsarbeit", "Wir machen Talkrunden zwischen Fans zu dieser Problematik".

Einfach eine kontinuierliche Arbeit jetzt über schon fünf, sechs Jahre. Dabei merkt man auch, dass sowas auch nicht von heute auf Morgen geht. Dortmund vor allem auch mit einem teilweise massiven Problem, die inzwischen auch sehr viel Arbeit investieren, antidiskriminierende Inhalte zu vermitteln. Es gibt zum Beispiel einen Fanbetreuer bei Borussia Dortmund, der nur für solche Fragen zuständig ist.

Haben Sie auch Kontakt mit dem DFB aufgenommen? Und wie ist da die Reaktion und die Zusammenarbeit?

Mit dem DFB stehen wir schon seit ganz vielen Jahren in Kontakt. Es ist so, dass es im DFB vor einigen Jahren einen relativ klaren Sinneswandel gab, als damals Dr. Theo Zwanziger DFB-Präsident wurde, der ganz klar Antidiskriminierung nicht nur auf die Agenda gestellt hat, sondern als eines der wichtigsten Themen seiner Amtszeit angesehen hat. Und seit diesem Zeitpunkt sind wir da eigentlich regelmäßig im Gespräch. Das heißt, der DFB hat uns regelmäßig eingeladen, hat Einschätzungen abgefragt, hat auch gefragt: "Wie sieht’s denn grade aus?", so wie Sie das grade machen: "Wie sieht’s denn in den Stadien aus? Wie schätzt ihr das ein?"

Und das ist natürlich ein großer Unterschied zum DFB vor zehn, fünfzehn Jahren, als das Thema noch unter ferner liefen lief. Da hat schon ein Wandel von Seiten des DFB eingesetzt. Wir erwarten von einem so großen Verband wie dem DFB, der sich diesem Thema verschrieben hat, dann schon, nicht nur zu reagieren, wenn es die eigenen Dinge betrifft, z.B. die Nationalmannschaft oder so, sondern auch zu gucken: "Was machen denn die Vereine? Wie reagieren die? Wie gehen die mit diesem Thema um?" Und dann zur Not auch ein bisschen intern Druck auszuüben.

Martin Endemann über Rassismus im deutschen Fußball

Rechte Fangesänge im Stadion

Ronny Blaschke

Der Fußballjournalist Ronny Blaschke fasst einige rechtsextreme Stadiongesänge und antisemitische Tendenzen in der Fanszene in diesem Beitrag zusammen.

Einige Fans verstehen den Begriff "Juden" als ultimative Ablehnung ihres Gegners. In kurzer Folge rufen sie "Judensaue", "Judenberlin" oder "Judenhamburg". Ohne Anwesenheit von Menschen jüdischen Glaubens steht "Juden" für historisch gewachsene Vorurteile. Zahlreiche Vereine haben ihre jüdischen Mitglieder im dritten Reich ausgegrenzt. Seit zehn Jahren widmen sich die Clubs einer ernstzunehmenden Aufarbeitung ihrer Geschichte. Bis heute gab es zwei deutsche Nationalspieler mit jüdischem Glauben, Julius Hirsch und Gottfried Fuchs. Hirsch wurde in Auschwitz ermordet.

Zum klassischen Liedgut vieler Neonazis gehört das sogenannte "U-Bahn-Lied". Darin besingen sie den Bau einer U-Bahn von der Stadt ihres Fussball-Rivalen nach Auschwitz. Begriffe wie "Mord" oder "KZ" werden hier nicht gebraucht. Trotzdem handelt es sich um eine antisemitische Schmähung, da Auschwitz das wohl bekannteste Symbol für den Holocaust ist. Bis Mitte der 90er Jahre wurde das U-Bahn-Lied in der Bundesliga massiv intoniert, heute noch vereinzelt. Die Gruppendynamik bei Fangesängen mag auch solche Fans zum Mitsingen verleiten, die Judenfeindlichkeit sonst ablehnen.

"Ha, hu, he – Kategorie C" – mit diesem Schlachtruf bewundern Fans die Bremer Band "Kategorie C" – oder verherrlichen schlicht Gewalt. Denn der Begriff "Kategorie C" stammt aus dem Polizeisprachgebrauch und steht für "Gewaltsuchende Fans". Die gleichnamige Band und selbsternannten "Fussballrocker" besingen seit 1997 Schlägereien, Männlichkeitskult und Überlegenheitsdenken. Sie gerieren sich als Verfolgungsopfer eines angeblich übermächtigen Staates. Eindeutige Volksverhetzung gibt es in ihren Liedtexten nicht. Die Gruppe pflegt Verbindungen zu Neonazis – vor allem für die Organisation ihrer konspirativen Konzerte.

Vor allem in den 80er und frühen 90er Jahren imitierten Fans Affengeräusche, sobald schwarze Spieler am Ball waren. Ihr Ziel: Die Kicker als minderwertig, animalisch und unwürdig abzustempeln. Diese Art des Rassismus ist nicht verschwunden – der deutsch-kanadische Spieler Kevin-Prince Boateng verließ Anfang 2013 den Platz, als ihn italienische Fans schmähten. Daniel Alves vom FC Barcelona wählte im April 2014 eine andere Form des Protests: Zuschauer bewarfen ihn mit einer Banane. Der Brasilianer nahm die Banane auf, schälte sie und biss hinein.

"Zick, zack, Zigeunerpack" – mit dieser Parole wollen Fans gegnerische Anhänger oder Spieler provozieren und kränken. Sie nutzen den Begriff "Zigeuner" – eine klischeebeladene Zuschreibung für Sinti und Roma. Die Nazis ermordeten 500.000 Sinti und Roma. Noch heute wird diese größte Minderheit der europäischen Union von vielen Menschen als faul und kriminell angesehen. Ihre Ausgrenzung, der sogenannte "Antiziganismus", ist selten ein Thema in den Vereinen. Bis heute hat sich kein prominenter deutscher Spieler als Mitglied der Minderheit erklärt.

"Wieder mal kein Tor für Türkiyemspor" – mit diesem Lied hetzte die Rechtsrockband "Landser" auf ihrem Album "Ran an den Feind" gegen den bekanntesten Migrantenverein Deutschlands. Das Album wurde im März 2001 als jugendgefährdend eingestuft. Bis heute nutzen Neonazis den Liedtext, um den Kreuzberger Club zu beleidigen – und damit auch die türkische Gemeinde in Berlin. Die Band Landser, benannt nach der umgangssprachlichen Bezeichnung für Soldaten im dritten Reich, wurde 2003 als kriminelle Vereinigung aufgelöst.

Bei weitem nicht alle Fussballfans finden die menschenverachtenden Gesänge und Sprüche gut. Immer wieder wehren sie sich – mit Gegengesang.

Ronny Blaschke über rechte Fangesänge im Stadion